Sturm Éowyn Irland

Irland nach dem Sturm – Éowyns Geschenk für mich

In der Nacht zum 24. Januar 2025 wütete einer der schwersten Stürme über Irland, den die Insel je erlebt hat. Sein poetischer Name: Éowyn. Für mich als Herr-der-Ringe-Fan ein wenig ironisch – denn Éowyn ist zwar eine stürmische Figur, aber sie kämpft für das Gute und Schöne in der Welt. 

An Sturm „Éowyn“ war erstmal gar nix gut und schön. 

Was er uns gebracht hat, war Zerstörung, Strom- und Netzausfall, Kälte, Wasserknappheit, unbefahrbare Straßen, völlige Abgeschnittenheit vom Rest der Welt. Und Angst. Nicht nur die Sorge vor kommenden Versorgungsproblemen, sondern blanke Panik.

Mein ohnehin stolperndes Herz verschluckt sich noch beim Gedanken an die drei schlimmsten Stunden in tosender Finsternis, als wir unter unseren Decken dafür beteten, dass das Dach standhalten möge. Auch, wenn solche Stürme mit dem Klimawandel vermutlich zur Normalität werden: Sowas möchte ich bitte nicht nochmal erleben! Danke. 

Trotzdem hat Éowyn mir ein paar Geschenke dagelassen.

Vielleicht ist dir das zuviel „alles hat irgendeinen Sinn“ oder „in jedem Scheiß steckt ein Goldstück“ – und das verstehe ich. 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz erinnere ich gern daran, dass nicht alles auf dieser Welt einen guten Kern hat oder für die Betroffenen Sinn machen muss. Manche Dinge sind einfach nur unbegreiflich schrecklich und abgrundtief böse. Das anzuerkennen und auszuhalten ist schwieriger, als es mit einer Welle von (toxischer) Positivität wegzuwischen. 

Und auch, wenn es sich etwas unpassend anfühlt, nach der Erwähnung des Holocausts von einem pupsigen Sturm zu erzählen: Ich würde diesen Artikel vermutlich nicht schreiben, wenn das Dach weggeflogen wäre. Aber da glücklicherweise nur der Zaun geflogen ist und das Dach standgehalten hat, nutze ich nun den wiedergewonnenen Strom, um zu berichten, was Éowyn mir außer dem Schrecken noch mitgebracht hat: 

1. Wertschätzung und Mitgefühl für mich selbst.

    Als der Sturm um 3 Uhr nachts an den Wänden rüttelte und die Dachbalken immer lauter und gefährlicher knackten, bekam ich Angst. Große Angst. Ich weckte meinen Mann (keine Ahnung, wie er schlafen konnte) und schrie ihm zu, dass wir sofort die Kinder nach unten bringen müssten. Innerhalb von 10 Minuten hatten wir im Wohnzimmer ein Matratzenlager aufgebaut, auf dem wir uns den Rest der Nacht zusammendrängten, während der Sturm weiter toste und alle paar Minuten etwas gegen die Hauswand krachte. 

    Und weißt du was? Sogar in dieser Situation schämte ich mich für meine Angst. 

    Ich weiß nicht, wie oft mir schon gesagt wurde, dass ich mich anstelle. Unzählige Male wurde ich für meine Sorgen ausgelacht und meine Angst nicht ernstgenommen. Ich hatte Angst vor dem Kindergarten. Das war falsch. Ich hatte Angst vor Prüfungen und büffelte mich deshalb um den Verstand. Das war nervig und wurde verachtet. Ich hatte Angst vor Corona (zumindest in der Anfangszeit) – und wurde für ein systemtreues Schlafschaf gehalten. 

    Obwohl ich ständig von Angst umgeben war – sie zu fühlen und zu benennen war immer falsch. 

    Kennst du diese Stufenbarren aus dem Sportunterricht? Ich erinnere mich genau, wie ich beim Geräteturnen am oberen Holm hing und mit Schwung über den unteren Holm abspringen sollte. (Wir nannten das Fenstersturz.) Ich hatte furchtbare Angst und war den Tränen nahe, mein Herz raste. Ich bat darum, es nicht machen zu müssen. Doch die anderen Kinder wurden ungeduldig und meine Lehrerin trieb mich an. Nicht, weil sie Böses wollte, sondern weil sie darauf trainiert war, unsere Angst nicht ernst zu nehmen. 

    Also sprang ich. Obwohl ich nicht wollte. Weil ich mich dafür schämte, so zu sein wie ich war. Dann knallte ich mit voller Wucht auf den unteren Holm und zu der Scham kam unbeschreiblicher Schmerz – mein kompletter Oberschenkel war viele Tage später noch lila-grün. Und ich gab mir und meiner Angst die Schuld dafür. 

    So habe ich gelernt, mir selbst zu misstrauen. Und mitten im schwersten Sturm der irischen Wetteraufzeichnungen sagte eine innere Stimme zu mir: Stell dich nicht so an, Marlene, es ist alles kein Problem!

    Als ich in den nächsten Tagen erfuhr, welch enorme Zerstörung der Sturm in dieser Nacht angerichtet hatte (er hatte nicht nur ganze Dächer weggerissen, sondern auch Wände eingedrückt) und wie groß die Furcht vieler Menschen gewesen war – da wurde mir klar, wie mächtig auch die Kräfte gewesen sein müssen, die mir jahrzehntelang meine Wahrnehmung ausredeten. Wie hart ich in der Not noch mit mir selbst ins Gericht gehe. Und wie tröstlich es ist, mir zu verzeihen. 

    Weil ich wieder einmal gesehen habe, wie richtig und gesund ich bin – und immer war.

    2. Dankbarkeit für das, was da ist.

      Ja, ich weiß, das Thema ist ausgelutscht. Achtsamkeit hier, Dankbarkeit dort. Aber wenn ich 2 Tage ohne Strom und Heizung lebe, wenn es nachmittags um 5 dunkel wird und nachts die Fenster einfrieren – dann kann ich gar nicht anders, als mich tierisch über einen warmen Becher Kaffee in meiner Hand zu freuen. 

      Lustigerweise freute ich mich nach dem Sturm ständig und ausgiebig. Darüber, dass wir Holz für unseren Kamin hatten. Dass wir über der glühenden Kohle Wasser für Tee, Kaffe und Wärmflaschen aufheizen konnten. Dass wir genug Brot, Butter und frische Lebensmittel hatten, aus denen mein Mann leckere Gerichte zauberte. Dass wir uns mit den Kindern am Feuer einkuscheln konnten und alle gesund waren.

      Und als nach 2 Tagen Strom und Heizung zurückkehrten, machte uns das zu den glücklichsten Menschen auf diesem Planeten. 

      Während hunderttausende Leute bis jetzt (also 6 Tage nach dem Sturm) noch keinen Strom und viele von ihnen nichtmal fließendes Wasser haben, konnten wir schon am 2. Tag duschen. Wir konnten uns die Zähne putzen und aufs Klo gehen, ohne hinterher den Körper in einem Zitteranfall aufwärmen zu müssen. Wir konnten Nudeln kochen, Wäsche waschen, Geschirr mit heißem Wasser spülen und unsere Lieblingsfilme angucken. Und als das Gemeindezentrum in unserem Ort öffnete, konnten wir uns dort mit vertrauten Menschen treffen, reden und Spiele spielen. 

      Wie wunderbar ist das denn bitte?

      In den letzten Monaten und Jahren habe ich immer wieder damit gehadert, dass wir den Luxus unseres deutschen Hauses hinter uns lassen mussten und gegen eine Unterkunft getauscht hatten, die in allen Ecken schimmelt und bröckelt. Aber dass das Dach dieser Unterkunft noch dicht ist, dass wir darin kochen, waschen und ruhig schlafen können – das fühlt sich gerade nach purem Reichtum an. 

      3. Besinnung auf das, was wirklich zählt.

        Eines will ich mit all dem nicht erreichen: Dass du dich undankbar fühlst, wenn du in deinem Alltag Stress erlebst. Dass du denkst, du müsstest nur froh über deinen Morgenkaffee sein und schon würden sich die Probleme mit der Schule in Luft auflösen. Erstens können wir Dankbarkeit nicht erzwingen – das geht nur nach hinten los. Und zweitens will ich auf etwas anderes hinaus.

        Der Tag, an dem wir weder Internet noch Mobilfunk hatten, war gruselig und großartig zugleich. 

        Weil nicht nur der Luxus wegfiel, sondern auch vieles, das mich im Alltag belastet. Ja, du hast richtig gelesen: Auch in unserem schulfreien Auswanderer-Alltag gibt es Strukturen, in denen ich mich belastet und gefangen fühle. 

        Social Media zum Beispiel. An diesem Tag ohne Empfang gab es keinen Grund, zum Handy oder Laptop zu greifen und die tägliche Informationsflut auszuhalten. Ich musste keine WhatsApp-Nachrichten beantworten, mich nicht durch Facebookgruppen wühlen und Fragen nach Relevanz sortieren. Mich nicht über provozierende, eindimensionale Posts ärgern. 

        Nicht das zermürbende Gefühl aushalten, dass andere Leute mit dem medialem Chaos souveräner umgehen. Dass sie lauter, schneller, toller und erfolgreicher sind als ich.

        Alles, was ich an diesem Tag ohne Strom tun musste, war: Feuer machen, Essen zubereiten, die Kinder und mich warm halten. Wir hatten Zeit, Spiele zu spielen, Geschichten zu erzählen, aneinander gekuschelt in die Flammen zu schauen und uns einfach darüber zu freuen, dass wir am Leben sind. 

        Sicher hätte ich das anders empfunden, wenn das Dach abgerissen und der Strom noch eine Woche weggeblieben wäre. Aber so hatten wir merkwürdiges Glück im Unglück und der Alltag wurde für eine kurze Weile ausgeschaltet. Und als es Zeit war, zurückzukehren in die wilde, wuselige Welt, spürte ich fast eine leise Traurigkeit. Spätestens da stellte ich mir die Frage:

        Wenn ich den Luxus von Strom, Internet und fließendem Wasser zurück habe – womit will ich diesen neuen Alltag wirklich füllen? Und was will ich nicht zurück? 

        Eine ähnliche Situation – nur ein paar Nummern größer – hatten wir zu Beginn der Pandemie. Herausgerissen aus unserem eingefahrenen Famillienalltag, hatten wir auf einmal Zeit. Zeit zu spüren, was uns wirklich wichtig war. Und was wie ein Klotz an uns hing, den wir nicht weiter mitschleifen wollten. Was daraus wurde, weißt du ja. Wir verkauften alles und verließen Deutschland. Zum Glück.

        Diesmal reichte es, die Push-Benachrichtigungen sämtlicher Apps auszuschalten, mir feste Zeiten für Handynutzung und mehr Zeit für Spaziergänge und Spieleabende einzurichten. Das heißt – ich bin ehrlich gesagt noch nicht sicher, ob es wirklich reicht. Denn wie machtvoll sich manche Dinge in mein Leben geschlichen hatten und wie viel Lebensqualität sie mir nehmen, ist mir erst durch den Sturm so richtig bewusst geworden. 

        Wie ist es bei dir?

        Wenn du dir vorstellst, 2 Tage (oder 4 Wochen) Pause von deinem Alltag zu haben – in welchen Alltag möchtest du dann zurückkehren? Und was würdest du am liebsten nie wieder darin haben? 

        Wenn du dich auf deinem Weg von mir begleiten lassen möchtest, kannst du verschiedenes tun – je nachdem, wie viel und wie enge Begleitung du dir wünschst:

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        • Schreib mir eine kurze (oder auch längere) Email an info@sajuno.de und ich schicke dir den Anmeldelink für ein kostenfreies Kennenlerngespräch. Dort besprechen wir gemeinsam, in welchem Rahmen ich dich persönlich begleiten kann. Ich freu mich auf dich!

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