Kennst du diese Begegnungen, bei denen du immerzu erklärst, warum du was wann und wie machst? Bei denen du ständig Gefahr läufst, einen schiefen Blick, eine pieksende Frage oder ein genervtes Seufzen zu kassieren?

Vermeintlich „keine großen Sachen“ und trotzdem rasen deine Gedanken (und dein Herz), um das Gegenüber gnädig zu stimmen. Selbst, wenn es einigermaßen glatt läuft, fühlst du dich hinterher erschöpft, unzufrieden – und wenn du genau hinspürst, drücken Tränen hinter den Augen.

Wenn dir so etwas regelmäßig passiert, dann kann es sein, dass du in deinem Leben schon häufig und hart beschämt wurdest.

Möglicherweise hast du so gelernt, Verhaltensweisen oder Gesten der anderen schnell als ablehnend zu deuten und dein Nervensystem reagiert auf kleinste Verunsicherungen mit großem Stress. Über ausgeprägte Scham habe ich bereits mehrere Artikel geschrieben. Auch darüber, wie du trotz Scham deinem Bedürfnis nach Authentizität gerecht werden kannst.

Wenn du vermutest, dass du genau damit ein Thema hast, dann gibt es zunächst ein einfaches Hilfsmittel, dein Nervensystem im Kontakt mit anderen ein wenig neu auszurichten: Freudliches Nachfragen. Wenn du das nächste Mal etwas Bissiges oder Verurteilendes abbekommst, das deinen Körper in Stress versetzt, dann nimm einen ruhigen Atemzug und frag dein Gegenüber, ob es so gemeint war, wie du es verstanden hast. Das kann viele Konflikte lösen, bevor sie überhaupt entstehen – und sowohl dir als deinem Gegenüber eine echte Chance auf entspannten, wertschätzenden Kontakt geben.

Es gibt aber Menschen, bei denen freundliches Nachfragen nicht hilft. Menschen, die dir immer wieder ihre Ablehnung und Missachtung ins Gesicht werfen – sei es offen oder verkleidet in netten Worten. Menschen, in deren Umgebung du dich ständig klein und unzulänglich fühlst.

Menschen, vor denen du – wenn du ehrlich bist – Angst hast.

Ich glaube, es gibt in Beziehungen einen Punkt, an dem es schädlich ist, uns weiter „verbessern“ und den anderen noch mehr verstehen zu wollen. Denn manche Menschen schaden dir, ohne dass du etwas daran ändern kannst. Du darfst dich von diesen Leuten trennen. Ganz besonders, wenn du als Mutter oder Vater noch einen Familienalltag zu bewältigen und Verantwortung für deine Kinder zu tragen hast. 

Warum ich davon überzeugt bin:

Elternschaft in unserer Welt ist systemisch gesetzte Überforderung.

Wir können uns auf den Kopf stellen, um den Alltag noch etwas effizienter zu gestalten und die besten Strategien ausfeilen, damit sich das Kind morgens schneller die Schuhe anzieht.

Dass wir neben der Care-Arbeit Geld verdienen müssen, dass das Kind um 8 in der Schule sein muss und dass sich keine Sau dafür interessiert, ob wir die letzte Nacht ausschließlich damit verbracht haben, der kleinen Schwester die Kotzschüssel zu halten – diese Situation ist gesellschaftlich angelegt und gewollt. Ausgefeilte Morgenroutine hin oder her. 

Der Schauspieler Kit Harington bekannte öffentlich, Elternschaft sei anstrengender als alles, was er je am Set von Game of Thrones gemacht habe. So ist es. Es freut mich, dass er darüber spricht. Gleichzeitig bekommt er als weißer Mann, der sich 10 Haushaltshilfen leisten kann und die Ressourcen besitzt sich überhaupt zu äußern, jede Menge Anerkennung dafür.

Die alleinbegleitende Mutter mit der 2-Zimmer-Wohnung und dem Vollzeitjob für Mindestlohn bekommt nur die nächsten drei Briefe vom Amt. Und böse Blicke von den Nachbarn, wenn dreckige Gummistiefel im Treppenhaus stehen. Sie steht dem Nachtkönig samt Eisdrachen ganz real gegenüber.

Eltern hören ständig, sie sollten Selbstregulation lernen, um ihren Job gut zu machen. Das ist aber verdammt schwer, wenn dir von außen dauernd Leute ans Bein kacken. 

Von all den Müttern, die ich in den letzten Jahren begleitet habe, fällt mir keine einzige ein, die nicht irgendwann von Schuldgefühlen und Selbstzweifeln geplagt wurde – mich eingeschlossen. Erstens, weil uns seit frühester Kindheit antrainiert wurde, so zu fühlen. Und zweitens, weil uns noch immer täglich mitgeteilt wird, dass wir als Eltern nicht ausreichen. Oft subtil, in unangenehmen Blicken, Stimmlagen, rhetorischen Fragen, halbversteckten Hinweisen, unterschwelligen Drohungen.

Wenn es dir auch so geht, möchte ich dir sagen: Menschen, die dieses Gefühl beharrlich und regelmäßig neu in dir entfachen, sind wie ständiges Gift in der Wunde. Auch, wenn sie fürsorglich daherkommen. Auch oder gerade, wenn du sie schon dein Leben lang kennst.

Du darfst dich vor ihnen schützen. Ich glaube sogar, du musst es, wenn du dich wirklich ernst nimmst und Selbstfürsorge keine Wellness-Floskel bleibt.   

Du bist genug. Du bist verantwortlich für deine Werte und die Haltung gegenüber deinen Kindern, aber du bist nicht Schuld an der überfordernden Situation, in der du (gemeinsam mit Millionen anderen Eltern) steckst. Du machst den härtesten Job der Welt und was dir am allerwenigsten hilft, sind Leute, die dir wehtun.

Ich komme immer wieder darauf zurück:

Die meisten von uns haben durch traditionelle Erziehung und Schule gelernt, ihr Gespür dafür zu betäuben, was ihnen gut tut und was nicht.

Niemanden hat interessiert, ob es uns gut tat, um 6 Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen zu werden. Niemand hat gefragt, wie wir uns beim Vokabeltest fühlten und ob wir das Referat über die alten Römer wirklich halten wollten. Niemanden hat interessiert, ob die Umgebung, in der wir das tun mussten, emotional sicher war.

Lasst uns endlich damit anfangen, uns selbst wieder ernst zu nehmen und zu fragen, wo wir uns wohlfühlen und wo nicht. Wie die Umgebung aussieht, in der wir wachsen und gedeihen können – auch als Erwachsene.

Und nein, wir „lernen“ Selbstregulation nicht, indem wir uns noch mehr anstrengen, alles richtig zu machen. Sie entsteht, wenn unser Nervensystem sich sicher fühlt.

Daher mein Vorschlag: Nutze jeden Moment deiner kostbaren Zeit, um Kraft und Wohlwollen zu tanken und verbringe sie mit Menschen, die dich sehen und verstehen, bei denen dein Körper sich entspannt. Menschen, die dich mögen, weil du genau so bist, wie du bist – unperfekt und verletzlich – und die es genießen, mit dir zusammen zu sein. Hülle deine tiefe Wunde der Scham in warmes Licht aus Verbundenheit und Mitgefühl, damit sie heilen kann.

Vielleicht klopft etwas in dir gerade zweifelnd an und fragt, wie du das anstellen sollst…

Wie lässt sich das umsetzen? 

Es gibt da mehrere Möglichkeiten. Eine ist, giftige Beziehungen einfach zu beenden. Sag den betreffenden Leuten, dass du keinen Kontakt mehr möchtest (oder sag es nicht) und triff sie nicht mehr. Das ist total in Ordnung, egal ob es um eine ehemalige Freundin geht oder deine Herkunftsfamilie. Es ist deine Lebenszeit.

Aber wir wären nicht dort, wo wir sind, wenn das immer so einfach wäre. 

Es gibt Kontakte, die kannst du nicht von heute auf morgen beenden, wie den zur Kollegin oder dem Klassenlehrer deines Kindes. Außerdem gibt es oft innere Hürden, die einen Kontaktabbruch schwierig machen: eigene Anteile, die vor Angst und schlechtem Gewissen im Boden versinken, und das Gefühl, dem anderen Menschen etwas schuldig zu sein – selbst wenn er dir seit Jahren Bauchschmerzen bereitet. 

Das ist total nachvollziehbar und ich bin kein Fan davon, diese Anteile einfach zu übergehen. 

Fang klein an. Wenn du das nächste Mal merkst, dass dir jemand eine fette Kröte reindrückt, noch bevor du sie reflexhaft schluckst, ist schon viel gewonnen! Vielleicht kaust du eine Weile darauf herum und spuckst sie in einem unbeachteten Moment wieder aus. Dein Gegenüber merkt noch gar nichts, aber du hast dich schon befreit. 

Wenn dir ein Kontraktabbruch große Angst macht, öffne erstmal ein kleines Fester in deinem Herzen für die Vorstellung, dass dein Leben ohne diese Leute und ihre blöden Kröten ziemlich geil wäre.

Frag dich liebevoll, was dir so große Angst daran macht, ihnen den Laufpass zu geben. Nimm die Antwort mitfühlend entgegen und prüfe, ob sie wirklich noch Sinn ergibt. Es geht nicht um schnelle Erfolge, sondern darum, dass du lernst, dich selbst wichtig zu nehmen.

Und:

Richte dich Stück für Stück mehr auf Menschen aus, die dir gut tun. 

Es gibt sicher Menschen in deinem Leben, in deren Gegenwart du dich warm, wohlig, entspannt und sicher fühlst. Natürlich wünsche ich dir, dass dies langjährige und vertraute Beziehungen sind. Aber es reichen schon kleine Momente – das kurze Gespräch mit der netten Verkäuferin am Gemüsestand oder der Nachbar mit dem freundlichen Blick.

Genieße diese Momente ganz bewusst, achte darauf, wie sich dein Körper dabei fühlt und mach dir klar, dass du hier gerade lebenswichtige Nährstoffe tankst. Ruth vom Kompass nennt elterliche Selbstfürsorge „aktive Gewaltprävention“ und damit hat sie absolut Recht.

Alles, was deine Scham lindert und dich Verbundenheit spüren lässt, hilft deinem Nervensystem sich zu regulieren und ist deshalb das Wichtigste, was du für dich und deine Kinder tun kannst. Ich hab noch nie jemanden angeschnauzt, wenn ich vorher eine warme, wohlwollende Begegnung hatte. 

Neben Wärme und Mitgefühl gibt es noch etwas, das für einen wohltuenden Kontakt entscheidend wichtig ist: Dass dein Gegenüber die Stärke in dir sieht.

Es ist wunderbar, wenn andere Menschen unsere Wunden und unseren Schmerz anerkennen – und gleichzeitig Vertrauen in die Kraft und Lebendigkeit haben, die in uns sprudelt. Wenn sie uns zutrauen, unseren Weg zu gehen.

Ein Mensch, der dir gut tut, bewundert und schätzt deine Stärke.

Ja, du liest richtig. Ich bin zu 100 Prozent sicher, dass du fantastische Fähigkeiten hast, die Bewunderung verdienen. Allein die Tatsache, dass du es in dieser Welt jeden Tag auf neue schaffst, aufzustehen und deine Kinder zu versorgen. Dass du Träume hast. Dass du dich fragst, wo und wie du den Rest deiner Lebenszeit verbringen willst – während so viele Menschen um dich herum dir davon abraten und weiter das alte Programm durchziehen. All das können deine Begleiter*innen sehen und wertschätzen.

Je bewusster du diese Art von Kontakten suchst und genießt, desto mehr davon wirst du in deinem Leben haben und desto weniger Platz ist für Gift und Kröten.

Die toxischen Begegnungen, die du einfach nicht verhindern kannst, werden dich irgendwann nicht mehr so ins Herz treffen, wenn du dir die innere Erlaubnis gibst, dein Leben zu genießen.

Ich habe die ersten Abgrenzungsschritte nach der Geburt meines Sohnes gemacht. Danach sind noch viele giftige Gestalten durch mein Leben getrampelt – aber mit der Zeit hat mein Herz ihnen immer weniger zugehört.

Heute sitze ich am Ort meiner Träume, befreit von jeglicher Last und lass mir permanent die Sonne auf den Bauch scheinen. Scherz. Dafür regnet es in Irland zu viel. Aber manchmal fühlt es sich wunderbarerweise so an und das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen.

Deshalb möchte ich dir Mut machen: Achte darauf, mit wem du dich wohlfühlst und bring dich in Sicherheit vor Menschen, die dir weh tun. Jeden Tag ein kleines Schrittchen. Es lohnt sich so sehr. 

Wenn du dich auf deinem Weg von mir begleiten lassen möchtest, kannst du verschiedenes tun – je nachdem, wie viel und wie enge Begleitung du dir wünschst:

  • Abonniere meinen Podcast Stark und Verletzlich.
  • Trag dich auf meinen Newsletter ein. 
  • Schreib mir eine kurze (oder auch längere) Email an info@sajuno.de und ich schicke dir den Anmeldelink für ein kostenfreies Kennenlerngespräch. Dort besprechen wir gemeinsam, in welchem Rahmen ich dich persönlich begleiten kann. Ich freu mich auf dich!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

zwanzig + zwanzig =