Vor kurzem habe ich bei Stadt Land Mama ein Interview zu unseren Erfahrungen mit selbstbestimmter Bildung in Irland gegeben und die Reaktionen der Leserschaft waren ausgesprochen vielfältig. Von begeisterter Zustimmung über Skepsis bis zu angesäuerter Kritik war alles dabei.
Das kenne ich ja schon – im deutschsprachigen Raum über schulfreies Leben zu sprechen, ist immer ein Tanz mit dem Feuer.
Eines kommt mit Sicherheit: Emotionale Reaktionen. Und das verstehe ich. In Deutschland haben wir alle die Erfahrung gemacht, in die Schule gehen zu müssen, ob wir wollten oder nicht. Wenn wir Kinder haben, dann müssen wir Schulbesuch durchsetzen, ob wir wollen oder nicht. Schule ist ein emotionales Thema – für fast alle von uns. Wenn du wissen möchtest, wie ich mit emotional aufgeladenen Kommentaren umgehe (besonders, wenn sie abwertend oder giftig sind), dann hör dir meine Podcastfolge dazu an.
Gleichzeitig gab es eine Menge wertschätzender Reaktionen und ehrliches Interesse. Eine Frage wurde besonders häufig gestellt:
„Das klingt ja alles fein – aber wie finanzieren Eltern so ein Leben?“
Ganz allgemein kann ich dazu sagen:
Die Möglichkeiten, eine Auswanderung oder ein Familienleben ohne Schulbesuch zu finanzieren, sind so vielfältig wie die Familien selbst.
Ich persönlich kenne z.B. alleinbegleitende Mütter, die ohne Ersparnisse ausgewandert sind und vor Ort verschiedene Jobs machen. Für so ein Modell braucht es idealerweise viel Spontaneität, Kreativität und Energie, Lust auf Kommunikation und Beziehungspflege (um beispielsweise an eine Wohnung oder Jobangebote zu kommen). Und ich würde sagen, auch ein gewisses Alter der Kinder.
Genauso gibt es Eltern, die sich mit Arbeit und Betreuung abwechseln. Eltern, die im Homeoffice arbeiten. (Das ist in Irland unter deutschen Auswander*innen sehr verbreitet, weil viele in Irland ansässige Firmen deutschsprachigen Kundensupport anbieten.) Familien, die ihr Haus in Deutschland verkaufen oder Mieteinnahmen daraus haben – und sich damit im Ausland ein eigenes Haus finanzieren können.
Zusammengefasst:
Die Situationen und Möglichkeiten von Familien sind extrem unterschiedlich.
Ressourcen können in der Berufsart (höhere Einkommensklasse oder Homeoffice) liegen. In einer funktionierenden Paarbeziehung, persönlicher Gesundheit, Energie und Kommunikationstalent. Oder schlicht in finanziellen Rücklagen durch Hausverkauf, Erbe oder sonstige Ersparnisse.
Diese Heterogenität (ich könnte es auch Ungleichheit nennen) gibt es grundsätzlich immer in unserem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Ganz unabhängig vom Schulbesuch der Kinder. Wir können sie gut finden oder nicht. Ich persönlich wäre für eine finanzielle Absicherung aller Menschen – unabhängig von Berufsart, Gesundheit oder Erbe. Z.B. in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens. Das ist aber ein anderes Thema.
Die eigentlich interessante Frage hier ist:
Verdienen Eltern weniger Geld, wenn ihre Kinder nicht zur Schule gehen?
Hier kann ich nur aus unserer persönlichen Erfahrung sprechen – und die ist: Nein, unser Einkommen in Irland ohne Schule ist aktuell ungefähr das gleiche wie in Deutschland mit Schule. Ein Luxusleben (wie manche Leser*innen vermuteten) führen wir definitiv nicht, aber es reicht für Miete und Lebensunterhalt.
Wenn es um Aktivitäten wie Sportgruppen oder Lernmaterialien geht, setzen wir eindeutige Prioritäten. Wir investieren unser Geld in das, was uns die meiste Lebensqualität gibt. Das kann z.B. ein Gewächshaus für den Garten sein. Ein Ausflug ans Meer oder ins Burgmuseum. Einen Fernseher besitzen wird allerdings nicht. Und Handys kaufen wir (wenn nötig) gebraucht.
Und woher kommt das Geld für den Lebensunterhalt?
Definitiv schonmal nicht aus Network-Marketing. Da ich dauernd nervtötende Anfragen aus dieser Richtung bekomme, nutz ich hier mal die Gelegenheit: Bitte verschwendet eure Zeit und Energie nicht mit mir. Ich habe kein Interesse.
Nachdem das also geklärt ist:
Mein Mann und ich arbeiten inzwischen beide selbstständig.
Er mir einem kleinen lokalen Business, ich mit Sajuno. Das bedeutet nicht nur, dass wir zeitlich relativ flexibel sind, sondern auch in weiten Bereichen das tun, was uns Freude macht. Mein Mann liebt den täglichen Kontakt mit der Freundlichkeit seiner Kund*innen. Und ich bin mit selbstbestimmtem Familienleben, Elternbegleitung und kreativem Ausdruck einfach in meinem Element.
Und nein, Steuerkram und Verwaltungsarbeit lassen mich auch nicht gerade erblühen. Außerdem bin ich noch im Aufbau meines Unternehmens und der finanzielle Erfolg hat noch deutlich Luft nach oben. Aber ich kann extrem beharrlich sein, wenn mir etwas am Herzen liegt – auch, wenn es nicht glitzert oder schnell große Geldströme einbringt.
Was mir allerdings auch sehr am Herzen liegt, ist Ehrlichkeit:
Ich habe nicht nur ein großes Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung, sondern auch nach Sicherheit.
Ich kenne wie gesagt Familien, die ohne Ersparnisse ausgewandert sind und klarkommen – oder sogar im Ausland erfolgreicher und glücklicher sind. Auch finanziell. (Und selbst, wenn sie irgendwann zurückkehren, sehe ich das nicht als Scheitern oder Versagen, sondern als wichtige und bereichernde Lebenserfahrung.)
Aber wir sind nicht ohne Rücklagen losgegangen. Da wir unser Haus in Deutschland verkauft hatten, konnten wir in eine private Altersvorsorge investieren und wussten, dass wir im Notfall eine Weile ohne Einnahmen über die Runden kommen. Das ist unser Sicherheitsnetz.
Ich glaube, dass Menschen in dieser Hinsicht sehr unterschiedliche Möglichkeiten, Wege und Bedürfnisse haben. Wozu ich jedoch grundsätzlich rate, bevor Eltern so einen Schritt machen:
Egal ob Ersparnisse, ein unterstützendes Umfeld, die eigene Kreativität und Kraft oder eine wirklich tragfähige und verlässliche Paarbeziehung – fragt euch ehrlich, welche Ressourcen euch auf dem Weg Sicherheit geben. Dann könnt ihr bei auftretenden Schwierigkeiten besser darauf zugreifen.
Gleichzeitig ist mir ein weiterer Gedanke wichtig:
Lebensqualität, Freude und Lernerfahrung sind nicht automatisch an viel Geld gebunden.
Klar, die meisten Menschen brauchen ein Minimum an materieller Sicherheit, um auch andere Bereiche des Lebens genießen zu können. Dazu gehören ein Dach über dem Kopf, Nahrung, Kleidung usw. Aber nicht jeder Genuss ist davon abhängig, dass wir viel Geld haben. Und nicht jedes Glück lässt sich mit Geld kaufen.
Ein Fußball für 30 Euro oder ein Brettspiel für 20 Euro können uns hunderte Stunden voller Gemeinschaftserleben, Freude und neuen Fähigkeiten bringen. Im Vergleich zu anderen Familien haben wir tatsächlich eher wenig Dinge, aber diese nutzen wir meistens lange und ausgiebig, bis sie buchstäblich zerfallen. Und vieles, was und glücklich macht (wie z.B. ein Waldspaziergang oder Baden im See) kostet gar nichts.
Manchmal wünsche ich mir trotzdem, öfter essen zu gehen oder leichter einen Hauskredit zu bekommen. Aber solange wir ein Dach über dem Kopf, einen vollen Kühlschrank und ein Auto haben, mit dem wir ans Meer fahren können, gehören wir immernoch zu den reichsten Menschen der Welt. Und das fühlen wir oft.
Zum Schluss noch ein Aspekt, der mir in der Diskussion um Kinderbetreuung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer zu kurz kommt:
Schulstress ist teuer.
Viele Eltern müssen enorm viel Zeit und Energie aufbringen, um ihre Kinder durch den Schulalltag zu begleiten – von Hausaufgabenfrust über tägliche emotionale Unterstützung bei Schulangst bis hin zu Gesprächen mit Lehrkräften oder Schulwechseln.
Wenn meine Kund*innen mir erzählen, wie sie nach ihrer eigenen Erwerbstätigkeit noch stundenlang die schulbedingten Verzweiflungszustände ihrer Kinder begleiten müssen, kann ich nur sagen:
Schule ist in vielen Fällen nicht die Entlastung, die sie vorgibt zu sein.
Würden wir all die Stunden zusammenrechnen, in denen diese Eltern mit dem Lösen von Problemen verbringen, die weder sie noch ihre Kinder verursacht haben – dann kämen wir auf eine erschreckend hohe Zahl. Stunden, die mit erschöpfender, häufig als sinnlos empfundener – und vor allem nicht bezahlter (!) Arbeit verbracht werden. Stunden, die nicht für Erholung und Regeneration genutzt werden können.
Und nicht selten bezahlen Eltern dafür sowohl finanziell (Nachhilfe, spezielle Therapien, weniger Leistungsfähigkeit im Job), als auch mit ihrer mentalen und körperlichen Gesundheit.
Wenn sich aber alle Familienmitglieder weitgehend wohlfühlen, ist die Lage anders. Dass das nicht 24/7 klappt, ist klar. Aber wenn wir zumindest morgens ausgeruht aufstehen, abends zufrieden schlafen gehen und dazwischen mit möglichst viel Freude unseren Projekten nachgehen – dann werden auf vielen Ebenen Kapazitäten frei.
Wir verbringen schlicht weniger Zeit mit sinnlosen und fremdbestimmten Kämpfen.
Das wiederum führt bei vielen schulfrei lebenden Familien dazu, dass sie in kürzerer Zeit effektiver lernen und arbeiten, was durchaus auch in der Erwerbsarbeit der Eltern spürbar wird.
Und in so einem Alltagsmodell kommt noch etwas anderes hinzu:
Lernen, Arbeit und Freizeit sind nicht mehr so strikt voneinander getrennt.
Wenn wir z.B. einen Ausflug ans Meer oder zu archäologischen Ausgrabungsstätten machen oder die Sportveranstaltungen und Konzerte unserer Kinder begleiten, dann ist das alles zusammen: Lernen, Erholung, Inspiration für meine Arbeit – und vor allem Lebensqualität für uns alle.
Ich hoffe, ich konnte die Frage nach der Finanzierung des Freilernens damit beantworten – oder dir zumindest Anregung zum Weiterdenken geben. Schreib mir deine Gedanken oder weitere Fragen dazu gern in die Kommentare!
2 Antworten
Danke für Deine wertvollen Gedanken, Marlene. Für mich ist ermutigend, was ich von Dir lese und höre. „Freilernen“ ist in Deutschland tatsächlich immer noch ein Fremdwort. Und Fremdes macht vielen Angst. Für mich ist es eine Herausforderung und eine tägliche Gratwanderung, den Spagat zu schaffen zw. aktuell noch staatlichem Schulsystem und Alternativen zu finden für eine frei bestimmte Bildung für unser Kind (und ja auch für uns). Ich freue mich über jeglichen Input, der auf diesem Weg von Dir und anderen freilernenden Familien kommt. Danke, Marlene.
Vielen lieben Dank für deine Rückmeldung! Es freut mich, dass ich Mut machen kann. Und ja, wir brauchen eine gesellschaftliche und strukturelle Veränderung. Glücklicherweise wachsen auch das Bewusstsein und die Offenheit für selbstbestimmte Bildungswege – zumindest in kleinen Schritten. Alles Liebe euch!