Freilernen

Freilernen in Deutschland? Der Unterschied zwischen richtig und legal.

Stell dir vor, dein Kind will nicht zur Schule – und du sagst: „Okay, kein Problem. Dann finden wir eine andere Lösung.“

Immer mehr Eltern träumen von dieser Freiheit. Sie wollen ihre Kinder ernst nehmen und sie nicht zum Schulbesuch zwingen müssen. Viele Familien sehnen sich nach einem Alltag, in dem Bildung mehr mit Neugier, Lebendigkeit und Beziehung zu tun hat als mit Pflicht, Druck und Kontrolle.

Und obwohl Freilernen in Deutschland strikt verboten ist, gibt es auch hier junge Menschen, die nicht zur Schule gehen. 

Manche Eltern versuchen, ihre Kinder gar nicht erst in offiziellen Registern auftauchen zu lassen – sie leben über Jahre ein schulfreies Leben „unter dem Radar“. Andere treten die Flucht nach vorn an: Sie legen offen, dass ihre Kinder nicht zur Schule gehen, nehmen Bußgelder und Gerichtsverfahren in Kauf, kämpfen vor Behörden und Familiengerichten für die Bildungsfreiheit ihrer Kinder.

Ich will keine dieser Familien verurteilen. Ich weiß, wie belastend erzwungener Schulbesuch sein kann – und ich kann mit jeder Faser nachvollziehen, warum Familien sich ein Leben wünschen, in dem Schule freiwillig ist.

Aber ich empfehle Eltern nicht, ein schulfreies Leben in Deutschland zu planen oder darauf zu hoffen, dass es schon gutgehen wird. Schon gar nicht, wenn sie versuchen unterzutauchen. Aber auch der offene Behördenkonflikt funktioniert nicht für alle. 

Moralisch richtig ist nicht gleich legal.

Natürlich können Eltern aus tiefer Überzeugung entscheiden, ihr Kind nicht gegen seinen Willen zum Schulbesuch zu zwingen, und diese Entscheidung auch vor Gericht vertreten. Das ist eine starke Haltung, für die ich großen Respekt habe.

Manche behaupten jedoch, Freilernen sei in Deutschland legal – und das ist ein gefährlicher Irrtum. Der Schulpflicht nicht nachzukommen ist in Deutschland verboten und hat in der Regel rechtliche Konsequenzen.

Gleichzeitig gilt auch umgekehrt: illegal ist nicht automatisch moralisch verwerflich.

Warum ich Freilernen für ethisch richtig halte (meistens):

Ich glaube, dass Menschen aus sich heraus lernen wollen. Egal in welchem Alter. Zwang, Noten und Anpassungsdruck schaden dieser Motivation. Ich glaube, dass die Basis von gelingender Bildung aus Freiwilligkeit, Sicherheit und gesunden Beziehungen besteht – und dass alle jungen Menschen ein Recht auf Selbstbestimmung in Bildungsfragen haben sollten.

Leider wird der Begriff Freilernen inzwischen auch von Gruppen benutzt, deren Interesse vor allem darin besteht, Kinder vom staatlichen Bildungswesen fernzuhalten. Das hat nichts mit der ursprünglichen Idee von selbstbestimmter Bildung zu tun. Wenn ich die Legalisierung des Freilernens fordere, dann nur mit strukturellem Sicherheitsnetz – zum Schutz junger Menschen vor Isolation und Gewalt.

Abgesehen davon halte ich die Möglichkeit zum Freilernen – in seiner ursprünglich gedachten, selbstbestimmten und sozial eingebetteten Form – nach wie vor für menschen- und demokratiefreundlicher als erzwungenen Schulbesuch.

Dennoch empfehle ich es innerhalb Deutschlands nicht.

Ich wünschte, ich könnte allen Familien sagen: „Wenn andere in Deutschland ohne Schule leben, schafft ihr das auch.“
Aber das wäre gelogen. Nicht alle schaffen das, ohne Schaden zu nehmen. 

Freilernen in Deutschland ist nicht nur illegal, sondern kann gefährlich werden – sozial, gesundheitlich und manchmal existenziell. Ich habe zu oft erlebt, wie verwundbar Menschen in dieser Situation werden.

Die möglichen Gefahren:

  • Soziale Isolation: Wer immer „gegen die Regeln“ lebt, verliert leicht den Kontakt zu anderen und ein grundlegendes Zugehörigkeitsgefühl. Das ist nicht nur ungesund für die betroffene Familie, sondern auch für die Gesellschaft – weil Ausgestoßene sich leichter radikalisieren.
  • Dauerhafte Rechtfertigung: Das ständige Erklärenmüssen zermürbt und belastet die physische und psychische Gesundheit.
  • Kriminalisierung und behördlicher Druck: Bußgelder, Familiengericht, drohender Sorgerechtsentzug – das ist Realität für viele Familien, die sich der Schulpflicht widersetzen.

Ob eine Familie das übersteht, hängt zu sehr von Glück, Zufall und dem Wohlwollen einzelner Personen ab und nicht von einem verlässlichen, menschenwürdigen System. Es ist kein Randrisiko, das wir allein durch die richtige Haltung und unser Auftreten „in den Griff“ bekommen. (Auch, wenn beides im Einzelfall hilft.)

Mir ist bewusst, dass der offene Konflikt mit Behörden für manche Familien der richtige Weg sein kann – oder der bessere, verglichen mit einer Auswanderung. Für einige ist das Ausdruck von Mut, Zivilcourage und einer tiefen Überzeugung, dass echte Veränderung nur entsteht, wenn man sich dem Problem direkt stellt. Und wie gesagt: Ich respektiere das zutiefst.

Aber ich persönlich habe andere Erfahrungen gemacht. Und jede*r kann nur den Teil zur Veränderung beitragen, den er oder sie aus ganzem Herzen mittragen und verantworten kann.
Ich kann es nicht verantworten, Menschen zu versprechen, dass Freilernen in Deutschland grundsätzlich möglich ist.

Mein Ansatz: Sicherheit und Lebensqualität für Familien

Ich begleite Eltern, die mitten im Spannungsfeld zwischen Angst und Sehnsucht stehen. Dabei stehen emotionale und äußere Sicherheit für mich an erster Stelle. Das kann bedeuten, im deutschen Schulsystem zu bleiben und auf anderen Wegen Entlastung und Kraft zu finden. Oder – wenn möglich – in ein Land auszuwandern, in dem Freilernen legal ist.

Ich helfe Eltern, ihre Werte zu leben, ohne sich und ihre Kinder in eine unsichere Lage zu bringen.

Mein Wunsch: Veränderung von innen

Langfristig will ich, dass Freilernen in Deutschland legal möglich wird – nicht als Fluchtbewegung, sondern als Teil echter Bildungsvielfalt. Im besten Fall profitieren davon auch die Schulen und das Bildungswesen insgesamt. 

In einer funktionierenden Demokratie ist das möglich, wenn Menschen beginnen, gewaltvolle Strukturen zu erkennen, ihre Erfahrungen zu teilen und Worte für das zu finden, was sie stattdessen brauchen. Menschen, die in der Mitte der Gesellschaft leben und aus dieser Mitte heraus sprechen.
Wenn Eltern und Kinder sichtbar machen, wie verletzend und unwürdig ein Schulzwang ist – und wie Bildung auch anders aussehen kann. 

Das ist der Weg, auf dem ich Veränderung sehe: Bildungsfreiheit muss in den Köpfen und Herzen ankommen. Als etwas, das in anderen Ländern selbstverständlich ist und wovor wir keine Angst haben müssen. 

Bis dahin gilt: Freilernen in Deutschland ist für einige möglich – aber nicht wirklich frei. Nicht gesetzlich geschützt. Nicht gesellschaftlich integriert. Noch nicht. Aber wir können gemeinsam daran arbeiten.

Und manchmal besteht der mutigste Schritt nicht darin, den riskantesten Weg zu wählen – sondern den, mit dem wir uns sicher genug fühlen, sodass wir ihn wirklich gehen können. 


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