Inhalt

  1. Dem Kind vorspielen, was du selbst nicht fühlst
  2. Deine Sorgen haben Gründe
  3. Eure Möglichkeiten in Deutschland
  4. Die Funktion von Scham
  5. Und nun?

Es ist Sommer. Sonne, Eis, Baden gehen. Und für Familien mit 6jährigen Kindern steht ein großes Ereignis bevor: die Einschulung

Während Großeltern, Nachbarn, Kindergartenfreunde und selbst wildfremde Leute auf der Straße darüber in zuckerwattige Jubelstürme verfallen („Oooch, dann kommst du ja jetzt in die Schuuuuule!!! Dann bist du ja schon richtig grooooß!!“), gibt es einige Eltern, denen der Schulbeginn Bauchschmerzen bereitet.

Geht es dir auch so? Dann bist du hier richtig!

Wenn du dich von Herzen auf den Schulstart freust, dann brauchst du diesen Artikel eher nicht – es sei denn, du möchtest Menschen verstehen, die nicht so glücklich damit sind.

1. Dem Kind vorspielen, was du selbst nicht fühlst.

In Deutschland sind nicht nur junge Menschen dazu gezwungen, vom 6. bis zum 18. Lebensjahr in eine Schule zu gehen, sondern Eltern sind auch dazu gezwungen, das durchzusetzen. Und weil die Wenigsten dabei Gewalt anwenden wollen, versuchen sie, ihren Kindern Schule früh schmackhaft zu machen und so viel Tolles darüber zu erzählen, dass sie von Anfang an gerne hingehen.

Das ist nachvollziehbar und total ok – solange die Eltern selbst glauben, was sie da erzählen.

Was aber, wenn dein Bauch grummelt, sobald du an Schule denkst?

Vielleicht, weil du sie als unangenehmen oder sogar gefährlichen Ort erlebt hast? Oder weil dich die Aussicht gruselt, dass du dein Kind irgendwann zwingen musst, morgens früh aufzustehen und nachmittags Hausaufgaben zu machen?

Ich finde, es ist eine der gemeinsten Aufgaben von Elternschaft, dieses Unwohlsein aushalten und gleichzeitig dem Kind vorspielen zu müssen, was für eine geniale Sache Schule ist. Denn sein wir ehrlich – genau das wird von Eltern erwartet:

Egal, was du wirklich denkst und fühlst – sag deinem Kind: Schule ist gut!“

Wenn Eltern stattdessen über ihre Sorgen vor dem Schulbeginn sprechen, werden sie schnell mit solchen oder ähnlichen Sätzen konfrontiert:

  1. Zeig deinem Kind das auf keinen Fall!
  2. Du musst lernen loszulassen. (Soll heißen: Hör auf zu klammern!)
  3. Trau deinem Kind doch mal was zu!
  4. Nur weil DU schlechte Erfahrungen mit Schule hattest… (Soll heißen: Du bist ein verkorkster Einzelfall und lässt dein Kind darunter leiden!)
  5. Heutzutage sind Schulen doch ganz anders. 
  6. Also MEIN Kind freut sich schon richtig doll! 

All das führt zu dem Gefühl, selbst etwas nicht richtig wahrzunehmen und nicht so zu machen, wie du solltest. Wer will schon eine Helikoptermutter sein, die dem Kind Bildung, Gemeinschaft und Freude vorenthält? Daher schweigen viele Eltern lieber – oder machen besonders überschwänglich mit bei der Lobhudelei auf den Schulstart.

Auf diese Weise entsteht eine Menge Heuchelei und unterschwelliger Druck auf Eltern. Ich glaube, der eigentliche Grund dafür liegt hier:

Schule ist unausweichlich.

Friss oder stirb – entweder du machst mit oder du bist verloren. Die Schulpflicht in Frage zu stellen geht in Deutschland mit großen Gefahren einher und macht uns verständlicherweise Angst. 

Außerdem sind wir daran gewöhnt, lieber unser Unwohlsein herunterzuschlucken und uns mit Biegen und Brechen in eine unangenehme Situation einzufügen, als die Situation zu verändern – oder zu verlassen. 

Ich finde das fatal und meine Botschaft an dich ist:

2. Deine Sorgen vor dem Schulbeginn haben Gründe.

Es gibt auch gute Gründe, dein Kind nicht auf eine vielbefahrene Straße laufen zu lassen – und wer würde da von Helikoptermutter sprechen? Der Vergleich hinkt natürlich, aber so viel ist sicher: Wenn du Schule mit Schmerz und Stress verbindest, hast du das nicht an den Haaren herbei gezogen. Es macht Sinn, dass du die Einschulung deines Kindes nicht bejubelst.

Du darfst das fühlen. Du darfst das auch sagen. Und du bist definitiv kein Einzelfall.

In Deutschland musst du dein Kind trotzdem in die Schule bringen. Es ist nicht deine Schuld, dass du diese Aufgabe zugeschoben kriegst und dann damit allein gelassen wirst. Dass du dich dafür verbiegen und verleugnen sollst, ist sehr bequem fürs Schulamt – und sehr ungünstig für deine psychische Gesundheit und die Beziehung zu deinem Kind

Das darfst du richtig scheiße finden. 

Ich hätte meinen Kindern gerne gesagt:

Für mich war Schule oft belastend, für Papa war sie oft schön. Schulen sind verschieden und Menschen machen unterschiedliche Erfahrungen damit. Probier es gerne aus und schau, wie sie dir gefällt – ich helfe dir dabei, so gut ich kann.“ 

Das hätte unglaublich viel Druck genommen.

Aber Ausprobieren funktioniert mit Schulanwesenheitspflicht bekanntlich nicht. Natürlich gibt es auch andere Gründe (z.B. finanziellen Druck), aus dem heraus Schule für manche Familien notwendig ist. Mir geht es an dieser Stelle um die gesetzliche Lage.

3. In Deutschland gibt es nur diese Möglichkeiten:

  1. Dein Kind mag seine Schule und alle sind zufrieden.
  2. Schule wird zur Belastung, mit der ihr als Familie leben lernt, weil die Schulpflicht euch dazu zwingt. Und das darf offen kommuniziert werden. 
  3. Das Kind geht nicht mehr zur Schule, ihr teilt das den Behörden mit – und lebt mit deren Sanktionen (wie Bußgeldern und Gerichtsverfahren). 
  4. Ihr verlasst Deutschland und sucht euch einen Ort, an dem schulfreies Leben bzw. Freilernen legal und akzeptiert ist.

Viele Eltern machen sich diese Möglichkeiten aber gar nicht bewusst, sondern hängen dauerhaft in einem schwer definierbaren Zustand von „irgendwas fühlt sich hier falsch an, aber da muss ich als Mutter/Vater wohl durch“.

So überstehen sie die Schulzeit gemeinsam mit ihren Kindern mehr schlecht als recht, hangeln sich von Ferien zu Ferien und schlucken jede Menge Frösche, die sie eigentlich nicht schlucken müssten. 

Sie laufen im Autopiloten, sind hochgestresst und gleichzeitig wie zugedeckelt von dem Gefühl, Schuld daran zu sein, wenn ihr Kind sich in der Schule nicht wohlfühlt. Weil sie es nicht genug motivieren können. Weil sie nicht die „richtige Einstellung“ zur Schule haben. Weil sie noch härter an sich und ihren Kindern arbeiten müssten.

Dabei liegen die Ursachen für Schulangst und sogenannter „Schulverweigerung“ meist in der Schule selbst. Warum sollte ein junger Mensch einen Ort meiden, an dem er glücklich ist, vertrauensvolle Beziehungen und Freude beim Lernen hat?

4. Die Funktion von Scham

Ich habe schon häufig erlebt, dass schulische Probleme wie Leistungsdruck, Mobbing und strukturelle Gewalt einfach in den persönlichen Verantwortungsbereich von Eltern abgeschoben werden.

Das klingt dann ungefähr so: Wenn das Kind nicht gern zur Schule geht, läuft bestimmt zuhause etwas schief. Zumindest versagen die Eltern in ihrem Auftrag, das Kind zu motivieren.

Die Scham, darüber zu sprechen, ist besonders bei Müttern enorm hoch – ansonsten würde die Verschiebung nämlich gar nicht funktionieren. Scham und Schuldgefühle verdrehen in unserem Bewusstsein, was eigentlich passiert:

Weder wir noch unsere Kinder wurden je gefragt, ob wir so leben wollen und ob dieses Leben uns gut tut.

Es wird einfach davon ausgegangen, dass Schulalltag das einzige Modell ist, mit dem Familien leben können und dürfen. Dabei sind sie extrem abhängig, z.B. von der Qualität der Schule und vom Wohlwollen ihrer Leitung. 

Klar können wir versuchen, die Schule zu wechseln oder mit viel Aufwand hier und da ein kleines Schräubchen zu drehen – aber im Großen und Ganzen sieht es ehrlicherweise so aus: 

Wir haben keine Wahl.

Doch anstatt auf die Barrikaden zu gehen, denken viele Eltern (vor allem Mütter), dass sie sich noch nicht genug anstrengen.

Ich weiß, manche Lehrer*innen erleben es anders herum und stehen oft selbst unter enormem Druck. Deswegen geht es mir hier sicher nicht darum, einen Krieg zwischen Eltern und Lehrkräften anzuzetteln. Mir geht es um die Strukturen – denn all die Kämpfe sind letztendlich ein Produkt von Zwang und systemischer Gewalt, unter der am Ende alle leiden.

Und Scham ist der Kitt, der das marode System zusammen hält.

Wenn Eltern sich nicht ständig schuldig fühlen würden, würden die Dinge sicher anders laufen. Und genau darin liegt meine Hoffnung. 

5. Und nun?

Ja, auswandern ist eine Option. Und es gibt noch ein paar andere. Auch mit Schule. Wie das konkret aussieht, hängt sehr von eurer persönlichen Situation ab.

Die wichtigste Veränderung passiert aber schon, wenn du dies in dein Herz sinken lässt und dort fest verankerst:

Du bist in Ordnung mit deiner Wahrnehmung und deinen Erfahrungen. Es gibt viele Eltern, denen es genauso geht. Zwing dich nicht dazu, etwas anderes zu glauben oder zu fühlen.

Wenn der Kampf in deinem Herzen aufhört, wird sich ein Weg für euch finden. Und der kann erstmal einfach nur darin bestehen, die Karten auf den Tisch zu legen und ehrlich zu sein. Zum Beispiel so:

Der einzige Grund, weshalb wie das hier machen, ist die Schulpflicht – und die Bestrafung, die uns erwartet, wenn wir sie nicht befolgen. Das finden wir unmenschlich. Und jetzt machen wir für uns das Beste aus der Situation und den Möglichkeiten, die wir haben.

Wenn du dich auf deinem Weg von mir begleiten lassen möchtest, kannst du verschiedenes tun – je nachdem, wie viel und wie enge Begleitung du dir wünschst:

  • Abonniere meinen Podcast Stark und Verletzlich.
  • Trag dich auf meinen Newsletter ein. 
  • Schreib mir eine kurze (oder auch längere) Email an info@sajuno.de und ich schicke dir den Anmeldelink für ein kostenfreies Kennenlerngespräch. Dort besprechen wir gemeinsam, in welchem Rahmen ich dich persönlich begleiten kann. Ich freu mich auf dich!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

3 × vier =