Manchmal kommen Dinge auf schicksalhafte Weise zusammen. Vor ungefähr einer Woche nahm ich meine 3. Podcastfolge auf, in der es um die Angst zu scheitern und die Kostbarkeit unserer Lebenszeit ging (du kannst sie bei Apple und Spotify hören) – und nur wenige Stunden nach der Aufnahme starb völlig überraschend ein Freund von uns.
Die folgenden Minuten und Stunden verbrachte ich mit seiner Familie. Sie waren schmerzhaft, intensiv und auf eine seltsame Art voller Ruhe. Diese Erfahrung hat mir eine wertvolle Erkenntnis geschenkt, die ich hier mit dir teilen möchte. Und das fällt mir nicht so leicht, denn:
Ich bin es nicht gewohnt, über den Tod zu sprechen.
Noch vor wenigen Jahren hätte ich mich gescheut, in die Nähe eines gerade Verstorbenen oder seiner Liebsten zu kommen. Der Tod war mit unheimlich und ich hatte das Gefühl, mit dem Ausmaß der Trauer nicht umgehen zu können. Angst davor, etwas falsch zu machen. Oder selbst weggespült zu werden von der Wucht des Geschehens.
Diesmal war es anders.
Ich dachte gar nicht viel nach. Ich fühlte den Schrecken, die Verwirrung, die Trauer – in mir selbst und in den anderen. Gleichzeitig war etwas in mir vollkommen ruhig und sicher. Ich wusste, dass ich genau in diesem Moment am richtigen Ort war und etwas zu verschenken hatte. Und das waren keine klugen Worte, keine heldenhaften Taten (den Part übernahmen andere) – sondern meine bloße Anwesenheit, meine Ruhe und mein Mitgefühl.
Irgendwann waren Schreck und Grusel vollkommen verschwunden. Ich begriff, dass der Tod an sich nichts Schreckliches ist.
Das Schwerste daran ist der Abschied.
Einen geliebten Menschen loszulassen – das ist das Schmerzhafteste, was wir uns vorstellen können. Und deshalb versuchen wir das Thema zu meiden, so lange es geht.
Dabei ist Abschied in unserem Leben allgegenwärtig. Wenn es auch nicht immer Menschen sind, die wir verabschieden – wir verlieren Dinge, Haustiere, Wohnorte, unsere Jugend, die Babyjahre unserer Kinder. All das geht und kommt nicht zurück, zumindest nicht in der Zeitdimension, die wir Menschen erleben.
In den letzten Jahren habe ich ein tiefes Verständnis davon bekommen. Denn obwohl ich es genauso wieder tun würde:
Unsere Auswanderung war der härteste Abschied, den ich in meinem Leben bisher erfahren habe.
In relativ kurzer Zeit haben wir nicht nur unser Haus, alltägliche Begegnungen, viele vertraute Gewohnheiten (wie z.B. den Besuch von Freunden oder den Wocheneinkauf im Bioladen) und hunderte liebgewonnene Gegenstände zurückgelassen – sondern auch die Verbindung und das Vertrauen in manche Menschen dauerhaft verloren.
Faser für Faser lösten wir uns von unserem gewohnten Leben und jedes Mal ging damit auch ein Stück Geborgenheit. Unsere Kinder hatten immer ihre Eltern an der Seite und wir alle freuten uns auf das, was kommen würde. Doch mein Mann und ich fühlten uns in manchen Momenten, als wären wir mitten im freien Fall. Trauer überschwemmte uns, mehr als einmal.
Intuitiv spürten wir, dass es nicht half, dagegen zu kämpfen. Dass es leichter war, uns fallen und den Schmerz fließen zu lassen.
Aber es gab etwas, das immer half – und zwar wir selbst, uns gegenseitig. Unsere Neugier für den anderen und die eigene innere Welt. Und unsere Offenheit für neue Begegnungen und Orte, mit denen wir uns verbinden konnten.
Denn das, was uns am meisten Angst und Schmerz macht, ist die Vorstellung, unverbunden und abgeschnitten von allem zu sein. Wenn sich ein Anker löst, oder zwei oder drei, kann es sich anfühlen, als wenn unser ganzes Wesen verbindungslos im Ozean treibt. Ohne gehört zu werden, ohne wichtig zu sein, ohne Hilfe zu bekommen.
Und ja, manchmal treiben wir im Ozean. Oder wir fallen. Aber das bedeutet nicht, dass wir wirklich verbindungslos sind.
Ich gebe zu, jetzt wird es ein bisschen spirituell.
Vielleicht auch mehr als nur ein bisschen. Auch das fällt mir nicht leicht, denn obwohl ich Religionswissenschaft studiert habe, war ich schon immer skeptisch gegenüber allen „Spiris“ und wurde zu streng naturwissenschaftlichem Denken erzogen. Sicher gibt es für all die Erfahrungen, die ich hier beschreibe, auch sozialwissenschaftliche, evolutions- oder neurobiologische Erklärungen. Fair enough. Das schließt sich für mich gar nicht aus.
Was ich in den letzten Jahren durch all die großen und kleinen Abschiede erfahren habe, ist dies:
Wir müssen in diesem Leben immer wieder loslassen – und doch bleiben wir immer verbunden.
Vielleicht kennst du diese kleinen alltäglichen Momente, in denen nichts besonderes passiert, aber du eine tiefe, mit Worten kaum zu beschreibende Gewissheit spürst, dass alles gut ist. Wenn du in der Sonne sitzt und eine Katze kraulst. Im Wald spazieren gehst, wo um dich herum die Vögel zwitschern und die Pflanzen duften. Wenn du im Auto deine Lieblingsmusik hörst oder mit den Nachbarn plauderst, ohne dass etwas von dir erwartet wird. Wenn du einfach da bist, verbunden mit der Welt um dich herum.
All das kommt uns so klein und unbedeutend vor. Wir streben nach den großen Abschlüssen und Statussymbolen. Nach grandiosen Geschichten, die wir erzählen können. Aber nichts davon ist so wertvoll und bedeutend, wie die vielen kleinen Momente, in denen wir mit dem Teil in uns sprechen und wahrnehmen, der weiß, dass wir gehalten sind und dafür nichts beweisen müssen.
Nenn es Bewusstsein, wenn du magst. Lebenskraft. Oder Seele.
Sie spricht durch die kleinen, liebevollen Gesten. Sie ist immer da und kann sich mit jedem Regentropfen, Schmetterling oder Grottenolm verbinden. Und zwar immer wieder, an jedem Ort der Welt. Egal, was du in diesem Leben schon loslassen musstest.
Ich persönlich glaube, dass wir mit dem Tod diese Verbundenheit mit allem wieder voll erleben. Und dass in unserem Menschenleben Verlust und Abschied Erfahrungen sind, an denen wir wachsen können. Indem wir unseren Grusel überwinden und lernen, dass wir großen Schmerz erfahren und halten können – und gleichzeitig immer verbunden sind.
Das Gemeine daran ist: Wir spüren es nicht immer.
Aber wir können die Verbundenheit zu jedem Zeitpunkt suchen. Und vor allem können wir uns gegenseitig helfen, sie zu finden.
Diese Gewissheit war es, die mich nach dem Tod unseres Freundes ruhig werden ließ. Die es mir möglich machte, die Hand seiner Mutter zu halten und ihr ohne Worte zu zeigen: Ich bin hier. Ich sehe dich. Ich fühle deinen Schmerz. Und du bist sicher, denn wir sind verbunden.
Und es braucht kein tragisches Ereignis wie dieses. Ein Kaffee mit Freunden, bei dem wir uns über scheinbar belanglose Dinge schieflachen, kann genauso heilsam sein und uns Geborgenheit schenken.
An dieser Stelle noch eine wichtige Botschaft an die People-Pleaser*innen unter uns:
Sich mit der Welt und anderen verbunden zu fühlen heißt NICHT, alles mit sich machen zu lassen. Oder alles für andere zu machen.
Manchmal ist es wichtig, auf Abstand zu gehen und dich zu schützen, damit du mit den liebevollen, stärkenden Energien verbunden bleiben kannst. Sorry für die Klischee-Wortwahl – mir fällt grad kein geistreicherer Begriff ein.
Manchmal ist die Verbindung mit dem Wind in den Baumwipfeln und den Träumen in uns wichtiger, als die laute, fordernde menschliche Welt um uns.
Eines wird mir jedenfalls immer klarer:
Dieses Leben ist zu wertvoll, um darin irgendwelche kalten, stupiden Pläne abzuarbeiten. Es gibt so viel zu erfahren und so viel zu wachsen.
Wenn dich dein Wachstum vor Entscheidungen stellt, die Abschied und Verlust bedeuten, dann kann ich dir hier nicht sagen, welchen Weg du nehmen, was du sagen oder tun sollst. Begleitung bei den konkreten Fragen braucht persönlichen Kontakt.
Aber ich möchte dir schon jetzt Mut machen: Kein Verlust und kein Schmerz der Welt kann dein warmes, lebendiges Wesen zerstören. Und wenn du gut für dich sorgst, wird es immer wieder seine Fühler ausstrecken, sich mit der Welt verbinden und Lebensfreude durch dich fließen lassen.
Suche Begegnung mit Menschen, die dich sehen und mit denen du dich zuhause fühlst. Mit der Natur. Musik. Mit dir selbst und dem Universum. Du bist immer verbunden. Wenn du das fühlst, kann auch der Schmerz da sein, ohne dich davon zu tragen.