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Inhalt

  1. „Du nimmst dich immer mit“ – kein Grund zu bleiben
  2. Stürme und Durststrecken – wenn der Zweifel dich einholt
  3. Das etwas andere Glück
  4. Fazit: Auswandern kann sehr glücklich machen

Klar macht Auswandern glücklich. Immer. Also geh einfach los. 

Das wäre eine schöne Antwort – und ehrlich gesagt habe ich sie mir gewünscht, bevor wir losgingen. Denn viele Menschen runzelten kritisch die Stirn, wenn ich von unseren Plänen erzählte. Merkten an, dass das für sie ja nichts wäre. Malten sich aus, was alles schief gehen könne. 

Doch ich wollte den besorgten Blicken und zweifelnden Nachfragen nicht mehr glauben.

Ich wollte hören, dass auf jeden Fall alles gut wird. Dass wir bekommen, was wir uns wünschen. Dass wir endgültig von Druck und Alltagsfrust befreit werden. Denn im Grunde unserer Herzen stand der Entschluss schon fest: Wir gehen. 

Wenn du mit dem gleichen Wunsch hier bist: Lies ruhig weiter. Es ist wunderbar, dass du Mut und Vorfreude suchst – und ich habe nicht vor, dich zu enttäuschen. Denn meine Familie und ich sind im Ausland tatsächlich glücklich. Nur nicht immer auf die Art, die ich erwartet hatte. 

Doch zuerst möchte ich ein paar Mythen ansprechen:

1. „Du nimmst dich immer mit“ ist richtig – aber kein Grund zu bleiben.

Dieser Abschnitt ist interessant für dich, wenn du Deutschland verlassen willst, weil sich dein Leben hier nicht gut anfühlt. Wenn du einfach nur noch raus willst.

Bestimmt kennst du solche Kommentare: „Wenn du auswanderst, nimmst du deine Probleme trotzdem mit.“ Oder: „Wer viel reist, läuft nur vor sich selbst weg.“ Diese Sätze gehören zu den größten Blockierern. Und sie sind nur teilweise richtig. 

Manche Probleme kannst du einfach in Deutschland lassen 

Schauen wir uns an, ob du beim Auswandern tatsächlich all deine persönlichen Lasten mitnimmst. Wenn du Sehnsucht nach der Ferne hast, weil du einem Druck entkommen möchtest – dann mach dir klar, woher der Druck kommt.

  • Wächst dir ein Schuldenberg über den Kopf? Der wird sich durch’s Auswandern sicher nicht in Luft auflösen. 
  • Deine Kindern hassen Schule? Du leidest darunter, sie jeden Morgen aus dem Bett zu ziehen und nachmittags Hausaufgabenkämpfe auszufechten? Möchtest ihre natürliche Lust am Lernen bewahren? Dieses Problem löst sich erstaunlich schnell in Luft auf, sobald ihr die Landesgrenzen verlasst. Die Erleichterung kommt wie ein Glückszauber – samt Glitzerstaub. 
  • Ihr braucht dringend Abstand von den Schwiegereltern? Dafür müsst ihr zwar nicht unbedingt auswandern, aber sagen wir so: Es kann durchaus helfen. 
  • Das Gleiche gilt, wenn du nach jeder Reise das Gefühl hast, in Deutschland am falschen Ort zu sein. Vielleicht tun dir bestimmte Strukturen hier einfach nicht gut. Mein Mann (für den Deutschland ursprünglich ein großer Traum war) hat das erst so richtig gemerkt, nachdem wir eine Weile in Irland waren. Sein Lebensgefühl hat sich hier grundlegend verbessert – und völlig unabhängig von der deutschen Schulsituation möchte er nicht mehr dorthin zurück. 

Es stimmt also nicht, dass du all die Schwierigkeiten, die dich gerade bedrücken, automatisch mitnimmst. 

Für uns ist durch das Wegfallen des Schulzwangs, den Abstand von Alltagsdruck und belastenden Beziehungen ein riesiger Brocken Sorge weggefallen – und nicht mehr wiedergekommen. Ob spätes gemütliches Frühstück, spontane Tagesausflüge oder Musikabende im Pub: Vieles von dem, was wir uns aus tiefster Seele in unser tägliches Leben wünschten, ist tatsächlich wahr geworden. 

Mehr Raum für das, was du in dir trägst 

Halten wir also fest: Manche Baustellen und Gruselgestalten können wir getrost zurücklassen. Expecto Patronum – weg mit den düsteren Dementoren, die uns das Leben zur Hölle machen! 

Unbestreitbar ist aber, dass wir uns selbst mitnehmen. Inklusive der alten Wunden, die wir im Normalfall mit uns herum schleppen. 

Heißt das, dass Auswandern am Ende also doch nichts besser macht?

Sicher nicht. Denn wenn wir an einem Ort landen, der uns weniger belastet, dann haben wir endlich Gelegenheit, uns den inneren Baustellen zuzuwenden. Wenn Druck von außen wegfällt, kann Kapazität für innere Heilung entstehen.

Hier wird es knifflig. Denn wenn du viele und tiefe alte Wunden mitnimmst, dann geht Heilung nicht immer zauberleicht. Sie kann anstrengend sein, weh tun und manchmal braucht sie mitfühlende Begleitung. 

Gleichzeitig ist genau diese Chance eines der größten Geschenke, die dir das Auswandern machen kann. Das ist Glück auf einem ganz neuen Level. 

Aber dazu komme ich später. Zuerst geht es ans Eingemachte.

2. Stürme und Durststrecken – wenn der Zweifel dich einholt. 

Ich will es nicht schönreden: Beim Auswandern kann es richtig harte Zeiten geben. 

Wenn du grade merkst, dass du eigentlich nur verlängerten Strandurlaub willst und ansonsten an deinem Wohnort ganz zufrieden bist – prima! Dann buch dir diesen Urlaub, genieße ihn in vollen Zügen und verschwende deine Zeit nicht länger mit Auswandergedanken. 

Wenn du aber eine tiefe innere Sehnsucht nach Leben in einem anderen Land hast und wenn dieser Traum dich einfach nicht loslässt – dann bereite dich darauf vor, dass es zwischendurch ungemütlich werden kann. Und: Dass du die Kraft und Stärke hast, damit umzugehen.

Dieser Punkt ist wichtig. Mach dir deine Ressourcen bewusst. Das kann eine tragfähige Beziehung sein, finanzielle Rücklagen und auch dein Erfahrungsschatz. 

Wenn nur wenig Ressourcen da sind, brauchst du deinen Traum trotzdem nicht aufgeben. Ein starker Traum ist der beste Anfang. Beginne aber, deine Vorratskammer zu füllen, damit du nicht komplett ausgehungert losziehst. 

Wenn du dir bewusst machst, welche Quellen dir Kraft und Sicherheit geben, legst du automatisch einen weiteren kleinen Schutzzauber in dir an. Er wird dir helfen, die Stürme zu meistern. 

Welche davon besonders haarig werden, hängt sehr von deiner persönlichen Situation ab. Hier eine kleine Auflistung möglicher Durststrecken:

Der ganze Orga-Kram

Habt ihr 2 Autos, ein Haus voller Sachen – und wollt alles vor der Auswanderung loswerden? Dann fang heute damit an, den ersten Schrank auszuräumen. Ehrlich. Beginne lieber ein Jahr früher als in den letzten 3 Monaten. Dann brauchst du deine Nerven nämlich für Krankenversicherungen, überforderte Meldebehörden und noch überfordertere Schulleitungen

Zu diesem Thema schreibe ich einen extra Artikel – hier nur so viel: Wenn du nicht ein 150prozentiges Organisationstalent bist, werden dir phasenweise die Haare zu Berge stehen. Aber das ist okay. Solange du weißt und fühlst, wofür du es machst, lässt sich das Chaos meistern. 

Abschiedsschmerz 

Hier wird es gemeiner. Auch, wenn du so schnell wie möglich alles einpacken und verschwinden möchtest – es gibt Menschen, Tiere oder Dinge, an denen dein Herz hängt und die du zurücklassen musst. Möglicherweise spürst du es gerade nicht, aber an irgendeinem Punkt auf deinem Weg wird der Schmerz einschießen. Vielleicht ist es nur ein kurzes Brennen, vielleicht auch eine tiefe, klaffende Wunde. 

Bei uns war es das Haus. Noch heute füllen sich meine Augen mit Tränen, wenn ich daran denke, wie ich die Schlüssel abgab und zum letzten Mal die blaue Tür hinter mir zuzog. Aber es liegt keine wilde Verzweiflung mehr darin – eher eine friedliche Traurigkeit. 

Alles ist neu 

Selbst, wenn ihr die Formalitäten gepackt und den Abschied glimpflich überstanden habt: Sich in einer neuen Umgebung einzuleben (egal ob dauerhaft oder vorübergehend) ist mitunter pure Überforderung für Kopf und Seele

Allein die neue Sprache. Ich liebe irisches Englisch sehr – aber während der ersten Monate war mein Hirn nach den vielen Gesprächen abends einfach Matsch. 

Und so schön und bereichernd all die neuen Eindrücke und Freundschaften sind – von der Jobsuche über den Stromanbieter bis zur Autoversicherung alles neu zu lernen, das braucht eine Menge Kraft. Und Durchhaltevermögen.  

Eines Tages stand ich völlig verzweifelt vor dem Supermarktregal und war kurz davor, mich weinend auf den Boden zu setzen – weil ich keinen Vanillezucker für den Geburtstagskuchen unseres Sohnes fand. Klingt verrückt, war aber so.

Reue, Selbstzweifel und Schuldgefühle 

Autsch. Diese Phase kann für manche Menschen heftig und für andere harmlos sein. Mich persönlich hat sie in die Knie gezwungen – und zwar über mehrere Wochen. Ausgelöst wurde sie durch eine Mischung der vorangegangenen Schwierigkeiten. 

Jobsuche, Autokauf und Internetanschluss zogen sich Monate hin. Abends saßen wir in einem zugigen, leeren Wohnzimmer – während mein Herz in Erinnerung an unser gemütliches altes Zuhause in tausend Stücke zersprang. Und ich fand den verdammten Vanillezucker nicht!

Wenn du an diesem Punkt gelandet bist, dann ist das Tor offen für bohrende innere Stimmen:

Was machen wir eigentlich hier? War es ein Fehler? Bin ich Schuld? Hatten die anderen Recht mit ihren Warnungen? 

Das Schlimmste daran sind weder der Abschiedschmerz noch die Hürden und Widrigkeiten der neuen Umgebung. Nicht, dass das Budget langsam schrumpft. Nicht, dass das Essen komisch schmeckt. Nicht, dass die Unterkunft ungemütlich ist und jeder Einkauf Stunden dauert. Nicht das Gefühl, unsicher und verloren zu sein.

Es ist die innere Bewertung. Die Fehlermeldung: Das hier hätte nicht passieren dürfen! Und die Versuchung, dich selbst dafür zu bestrafen. Solltest du gerade in diesem Loch stecken, möchte ich dir ein paar Gedanken an die Hand geben:

  • Du bist mit dieser Situation nicht allein auf der Welt. Viele ausgewanderte Menschen haben sie erlebt, erleben sie jetzt gerade oder werden sie noch erleben. Wenn ihr als Paar oder Familie ausgewandert seid: Sprecht miteinander, schenkt euch Mitgefühl. Kuschelt euch zusammen, bestellt leckere Pizza, macht eine Kerze an, schaut eure Lieblingsserie, weint gemeinsam, lacht gemeinsam.  
  • Dass der Zweifel auftaucht heißt nicht, dass du etwas falsch gemacht hast. Nicht einmal dann, wenn ihr irgendwann beschließt, zurückzukehren. Jeder einzelne Tag deines Lebens, jede Entscheidung, jeder Schritt und jedes Gefühl darin sind wertvoll. Lies dazu gerne meinen Artikel: Die Angst zu scheitern
  • Gib dir Zeit. Vermeide so gut es geht alles, was zusätzlichen Druck auf dich ausübt. Deine Wahrnehmung sagt dir vielleicht, dass nichts klappt und früher alles besser war. Dabei verwandelt sich die Raupe gerade in einen Schmetterling. Wenn sowieso alles langsam geht: Ruh dich aus. Ich habe in dieser Zeit stundenlang gepuzzelt, Podcasts gehört oder im Garten den Vögeln gelauscht. 
  • Wenn ihr Eltern seid: Erinnert ihr euch an die Zeit nach der Geburt des ersten Kindes? Vermutlich stand euer Leben auf dem Kopf und ihr selbst irgendwo zwischen Freude, Verzweiflung und Autopilot. Kinder zu bekommen ist für viele Menschen eine handfeste Lebenskrise. Aber irgendwann geht der Schleudergang langsamer. Du merkst wieder, wo oben und unten ist, bekommst Boden unter die Füße. Mit der Auswanderung ist es ähnlich, glaub mir. Everything will fall into place. 
  • Lass dich begleiten von Menschen, die den Prozess kennen und durchlebt haben. Wir sind soziale Wesen, wir können und müssen solche Krisen nicht ohne Hilfe durchstehen. Komm dazu gerne auf meinen Newsletter, dort bekommst du eine regelmäßige Portion Heimat und Bestärkung. 

Die erwähnten inneren Baustellen 

Wenn du – wie ich – zu den Menschen gehörst, die sowohl Neugier auf die Welt als auch alten Schmerz in sich tragen, dann kann mit der Auswanderung noch etwas spannendes passieren.

Und zwar dann, wenn du all die Abschieds- und Umgewöhnungstäler überwunden hast und beginnst, dich in deinem neuen Leben Stück für Stück so richtig wohl zu fühlen. Wenn ein neues Gefühl von Entspannung, Freiheit und Sicherheit in dir wächst. (Also vermutlich genau das, was du im Ausland finden möchtest.) 

Dann entsteht Raum für die kleinen und großen Pakete, die du schon seit deiner Kindheit mit dir herumträgst. Für das, was im stressigen deutschen Alltag nie wirklich Platz hatte. Plötzlich liegen sie vor deiner Nase und wollen ausgepackt werden. 

Und das solltest du tun, denn es können echte Schätze darin warten. 

Nur leider explodieren beim Öffnen manchmal fette Stinkbomben. Oder du musst dich durch eine Schicht aus Scham, Wut, Angst und Trauer wühlen. 

Fragst du dich grade, was genau ich dir damit sagen will? Dann lies gerne meinen Artikel Finde deine Stimme. Dort beschreibe ich, wie ich durch die Musik an uralte innere Themen gestoßen bin – weil ich inzwischen Raum dafür habe. 

3. Das etwas andere Glück

Puh, ehrlich gesagt klingt das bisher nicht so nach luftig-leichtem Auswandertraum, oder? Mehr nach einer Wüste voller Stolpersteine und gelegentlicher Oasen. 

Aber ich kann dich beruhigen:

Jeder Weg ist einzigartig und hat viel mehr zu bieten als Durststrecken – und auch die müssen nicht lang und kräftezehrend sein. Vielleicht (hoffentlich!) überwiegen für dich von Anfang an Begeisterung, Vorfreude und Genuss.

Welche inneren Bilder auch immer deinen Auswandertraum nähren – sei es der Blick auf Berge und Meer, das tägliche Ausschlafen, milde Nächte unter sternenklarem Himmel oder Plaudern in deiner Lieblingssprache: Diese Momente wird es geben – vielleicht sogar ständig – und sie werden dich mit Glückskribbeln und Dankbarkeit erfüllen. 

Aber selbst, wenn der Weg über längere Strecken ordentlich holpert oder sich unerwartete Abgründe auftun, bietet er euch als Familie und dir in deiner ganz eigenen Entwicklung riesige Chancen:

Der Blick über den Tellerrand

Was auch immer die Auswanderung mit sich bringt – es sind neue Erfahrungen, Sichtweisen und Fähigkeiten. Dein Horizont wird sich ausdehnen und du wirst die Welt und dich selbst aus ganz neuen Blickwinkeln kennenlernen. 

Dabei werden dir und deinen Liebsten unweigerlich Ideen kommen, die vorher gar nicht auf dem Plan standen. Ihr werdet Kreativität für Möglichkeiten und Lösungen entwickeln. Hindernisse meistern, die vorher unüberwindbar erschienen. Projekte starten, die euer Leben bereichern. 

Und wahrscheinlich wirst du dabei entdecken, dass viel mehr Potenzial in dir steckt, als du je geahnt hast. 

Die Reise zu dir selbst 

Das ist für mich der ultimative Schatz des ganzen Abenteuers. 

Denn wenn es dir so geht wie mir, dann gehst du nicht nur deshalb los, weil du deine Kinder vom Schulzwang befreien oder mehr Sonne willst. Das sind top Gründe, versteh mich nicht falsch. Aber da ist noch mehr.

Da ist ein Wunsch nach Lebendigkeit. Die Sehnsucht danach, dich selbst wiederzufinden. Das Spiel deines Lebens – das irgendwann unter die Räder kam – wieder blühen zu lassen. 

Wenn du beim Auswandern belastende Strukturen abstreifst, Stürme durchlebst, die Welt aus neuen Perspektiven erblickst und nach und nach beginnst, deine inneren Pakete auszuwickeln – dann hast du die Chance, dir auf einer tiefen Ebene neu zu begegnen. 

Wer bist du? 

Was erlebst du gerade? 

Und was möchtest du erleben? 

Heute, morgen und bis zum letzten Tag?

Auswandern kann bedeuten, dass du dein Leben von Grund auf in die eigenen Hände nimmst. (Und damit nebenbei auch deiner Familie ein großes Geschenk machst.)

Dafür muss nicht immer die Sonne scheinen. Dafür müsst ihr auch nicht an einem Ort bleiben. Wenn du begonnen hast, den inneren Schatz zu heben, geht er dir nicht mehr so schnell verloren. 

4. Fazit: Auswandern kann sehr glücklich machen – wenn du das komplette Paket annimmst. 

Natürlich kann ich keine Garantie dafür geben, dass eine Auswanderung dir und deiner Familie den emotionalen Lottogewinn beschert. Logisch. 

Aber wenn du dich nach Freiheit, Selbstbestimmung und neuen Wegen sehnst und wirklich neugierig auf das bist, was euch (außen und innen) begegnet – dann sehe ich gute Chancen, dass die Auswanderung tatsächlich ein Glücksgriff für dich ist. Der Hebel, der das Leben grundlegend zum Positiven verändert. 

Und ganz sicher solltest du dich nicht vom Auswandern abhalten lassen, „weil du dich selbst mitnimmst“. Das ist schließlich das Beste an der ganzen Geschichte! 

Zum Abschluss noch ein paar Worte, die ich während der längsten Talfahrt (der Puzzle-Zeit) geschrieben habe. Offensichtlich wusste ich trotz Zweifel und Traurigkeit, dass der Weg sich auf jeden Fall lohnt:

Das Puzzle

Früher hatten wir das Puzzle fast komplett. Da war das eigene Haus, das Auto, regelmäßiges Einkommen. Die Mitgliedschaft im Bioladen und die Schulfahrgemeinschaft. 

Aber das Bild passte nicht. Etwas drückte immer – wie ein hübscher, aber zu enger Schuh. Wir bastelten ein bisschen hier und da, doch so passten die Teile immer weniger, schoben sich übereinander, verhakten sich. Es wurde ein Krampf. 

Also zertrümmerten wir das Ding. Zerlegten es in seine Einzelteile und warfen es in hohem Bogen aus dem Fenster. Zack. Tabula rasa. Große Freiheit – und großer Schmerz. Es war doch schon fast fertig, das Puzzle. 

Jetzt ist da die leere Tischplatte. 

Langsam kommen neue Teile, eines nach dem anderen. Vielleicht haben wir bald den Rand geschafft. Manchmal fließen Tränen, ich vermisse das alte Puzzle. Dann nehme ich das nächste Teil, warm liegt es in meiner Handfläche. 

Und auf einmal wird es mir klar: Dieses Puzzle passt. Es ist genau das, was wir wollten. Jedes kleine Teil fühlt sich an wie ein winziges Stückchen Gold. Irgendwann werden sie alle zusammen für uns strahlen. Denn dies hier ist unser Puzzle, unser Bild, unser Leben. 

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